Rede anlässlich der
Trauerfeier für Helmo Roth-Seefrid
von Pfarrer Jochen Gran am 01.10.2016
Wir sind
hier zusammen gekommen, um Abschied zu nehmen von einem Vater, Groß- und
Urgroßvater, Bruder, Schwager und Onkel, Nachbarn, Wegbegleiter und Freund
Helmo
Roth-Seefrid ist am vergangenen Freitag, einen Tag nach seinem 75sten
Geburtstag von uns gegangen. Wir würdigen seine Person in dieser Trauerfeier
und setzen seine Urne bei.
Helmo war
kein Mensch, der das Rampenlicht liebte. Nicht selten sind es die aber gerade
die Leisen, die im Hintergrund Wirkenden, die die deutlichsten und
nachhaltigsten Spuren hinterlassen. Helmos Spuren
sind nicht nur in seinem Haus, seinem Garten und seiner Familie zu finden,
nicht nur im Dorf Schönenbach, sondern bei vielen,
die ihn kannten, vor allem auch bei vielen Jüngeren, denen er etwas von dem
weiter geben wollte, was er als wichtig erkannt hatte, und die es sich gerne
von ihm sagen ließen. Auch er selbst war sich nie zu schade von anderen zu
lernen. Einer, von dem auch er sich gerne etwas sagen ließ, war Heinrich Böll.
Heinrich Böll schrieb nur wenige
Gedichte. Einige Wochen vor seinem Tod schrieb er dieses Gedicht für seine
7jährige Enkelin:
Wir kommen weit her
liebes Kind
und müssen weit gehen
keine Angst
alle sind bei Dir
die vor dir waren
Deine Mutter,
Dein Vater
und alle, die vor ihnen waren
weit weit zurück
alle sind bei Dir
keine Angst
wir kommen weit her
und müssen weit gehen
liebes Kind
Dein Großvater
Als ich Euch fragte, warum man Helmo nach seinem Eintritt in den Ruhestand nur noch selten
in der Öffentlichkeit sah, habt Ihr mir eine verblüffende Antwort gegeben. Er
habe gesagt, so habt Ihr es mir erzählt, dass er nicht in die Welt hinaus gehen müsse, weil die Welt zu ihm käme. Und in der
Tat, sie kam zu ihm, in der Gestalt von Jungen und Alten, die ihm erzählten,
was sie erlebt haben, was sie beschäftigte, was ihnen Freude und Sorgen machte.
Die Welt kam aber auch durch das Radio zu ihm - fern schaute er nur selten -
und vor allem durch das Internet. Bis zuletzt verfolgte er das, was in der Welt
passierte, interessiert aber auch kritisch. Dabei sah er die besonders
kritisch, die er am meisten schätzte; denn gerade sie sollten es ja besonders
gut machen. Und so möchte ich ein Gedicht von Kurt Tucholsky vorlesen, was -
wie ich meine - zum Garten- und SPD-Freund Helmo wie
zugeschnitten passt:
Feldfrüchte
Sinnend geh ich durch den Garten
still gedeiht er hinterm Haus;
Suppenkräuter, hundert Arten,
Bauernblumen, bunter Strauß.
Petersilie und Tomaten,
eine Bohnengalerie,
ganz besonders ist geraten
der beliebte Sellerie.
Ja, und hier -? Ein kleines Wieschen?
Da wächst in der Erde leis
das bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.
Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik,
Bonzen, Brillen, Gehberockte,
Parlamentsroutinendreh...
Ja, und hier - ? Die ganz verbockte
liebe gute SPD.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, doff und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß
Wir hören nun ein Lied von
Reinhard Mey mit dem Titel: Gute Nacht, Freunde.
Liebe Eva, liebe Kinder,
Schwieger- und Enkelkinder von Helmo, liebe weitere
Familie, liebe Freunde und Wegbegleiter von Helmo,
liebe Trauergäste,
wann ist eigentlich das Leben
eines Menschen zu Ende? Dann, wenn er sein Leben aushaucht? Mag sein. Doch
immer wieder hat man den Eindruck, dass ein Leben auch durchaus früher am Ende
sein kann. Für manche ist es zu Ende, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren,
einen Menschen, der ihnen alles bedeutet hat. Das bricht das Herz. Für andere
ist das Leben zu Ende, wenn sie krank werden und das Leben, das sie geliebt
haben, nicht mehr leben können. Für wiederum andere ist das Leben vorbei, wenn
der Sinn verloren geht. Für Euren Vater war es gewissermaßen zu Ende, als er
nicht mehr schreiben konnte - so jedenfalls habt Ihr es mir erzählt. Denn das
Schreiben war Helmos große Leidenschaft. Ein
Schlaganfall vor fünf Jahren bewirkte, dass er das Schreiben sowohl mit der
Hand als auch mit dem Computer aufgeben musste. Doch wenn sein Leben damit - so
schien es - am Ende war, warum ist er dann nicht schon früher gestorben? Die
Antwort gibt die Traueranzeige. Sie zeigt den roten Milan, der immer über die
Wiesen hinter Eurem Haus flog. Auf der Suche nach Futter, nach Beute, breitet
dieser beeindruckende Vogel seine Schwingen aus, erhebt sich in die Lüfte, und
mit diesem Weit- und Überblick, findet er, was er sucht. So sei Helmo auch gewesen, sagtet ihr. Als ihm die Krankheit das
Schreiben nahm, entfaltete er die Schwingen seines Verstandes, erhob sich in
die geistigen Lüfte und suchte mit dem gewonnenen Weit- und Überblick nach
einem neuen Sinn. Und er fand ihn dann vor allem in der Begleitung der
syrischen Familie, die nach Schönenbach kam. Dabei
ging es ihm nicht nur darum, der Familie konkret zu helfen. Jemand, der sich
wie ein Milan in die Lüfte erhebt, braucht größere Ziele. Und die sah er darin,
den Schönenbachern zu vermitteln, mit welcher
Einstellung sie diesen neuen Nachbarn begegnen sollten. Sie sollten sie weder
als Flüchtlinge noch als Asylsuchende sehen, sondern als Gäste. Schönenbach sollte sich als ein gastfreundliches Dorf
zeigen. Das war seine große Vision. Es war nicht seine erste große Vision für
das Dorf. Vor etlichen Jahren gab er den Anstoß für die Gründung des
Dorfvereins, um die Dorfaktivitäten und die Einnahmen aus Festen zum Nutzen
aller zu bündeln. Die Schaffung eines guten Sportplatzes war eine weitere
Vision. Und schließlich wollte er mit dem dörf-lichen
Informationsblatt, der Schönenbach-Info, einen
Beitrag leisten, um Nachbarschaft und Zusammenhalt zu stärken. So wie sich der
Milan in die Lüfte erhebt, um von oben nach Futter zu suchen, so tat es Helmo ebenfalls und entdeckte immer wieder neue Ziele, für
die es sich zu leben lohnte. Das war der Grund, warum er nicht starb, als sein
Schreiber-Leben durch dem Schlaganfall ans Ende gekommen schien. Tatsächlich
hatte er bald - wie gesagt - ein neues Ziel im Visier.
Von dem spanischen Philosophen George de Santayana stammt der Satz: das
einzige Mittel gegen Geburt und Tod besteht darin, die Zeit dazwischen zu
nutzen. Helmo nutzte sie - immer. Aus der
Wirtschaft kommend, sah irgendwann keinen Sinn mehr darin, den Profit des
Versicherungskonzerns, für den er arbeitete, zu maximieren. Und so zog er sich
zurück, bis ihm - nach eingehender Marktanalyse - die glänzende Idee kam, den Waldbröler Marktboten zu gründen, ein Anzeigenblatt mit
großem redaktionellen Teil, das vielen Waldbrölern
auch heute noch in bester Erinnerung ist. Obwohl der Marktbote ein
Anzeigenblatt war, hatte der den Anspruch, auch eine gute Zeitung zu sein, ein
Informationsblatt und Meinungsforum mit originellen Glossen wie z.B. dem Hubäät - von Friedhelm Barth geschrieben. Viele Volontäre
arbeiteten mit beim Marktboten und bei einigen, die heute für größere Verlage
und Sender tätig sind, konnte Helmo die Leidenschaft
für den Journalismus wecken. Irgendwann fiel dem DuMont-Verlag auf, dass sich
da ein recht erfolgreiches Medium in seinem Revier breit gemacht hatte. Nach
dem Motto 'Geld schlägt Geist' wurde ein Konkurrenzblatt aufgelegt, Kunden
abgeworben und der Marktbote zur Aufgabe gezwungen. Helmo
gelang es jedoch, durch kluge Verhandlungen, alle Mitarbeiter seines Marktboten
und auch sich selbst bei DuMont unterzubringen. Das spricht einerseits für sein
hohes Verantwortungsbewusstsein, andererseits aber auch für seine
Weitsicht, womit wir wieder bei dem Milan wären.
Auch Ihr als Familie habt von seiner Weitsicht, seinem Überblick profitiert.
Sein großes Hobby, das Kursbuchlesen, hat Euch aus mancher Sackgasse auf Reisen
heraus geholfen. Seine Weitsicht war auch gefragt, wenn Eva politisch keinen
Ausweg mehr sah. Überhaupt: wer sich verfahren oder verrannt hatte, suchte
gerne Helmos Meinung, die er sich aus dem Überblick
bildete. So wurde Euer Haus zur eine Art Schönenbacher
Info- und Ratgeber-Zentrale.
Das einzige Mittel gegen Geburt und Tod besteht darin, die Zeit dazwischen
zu nutzen, sagte der spanische Philosophen George de Santayana. Helmo nutzte sie. Seinem Weitblick ist es auch zu
verdanken, dass es die Städtepartnerschaft mit Jüterbog gibt - damit zusammen
wachsen konnte, was zusammen gehört. Der Impuls sei zwar von Dir gekommen,
sagtest Du, liebe Eva - du warst ja auch sonst häufig die Impulsgeberin, die
Impulsivere -, aber Deinem Helmo gelang es, nicht nur
im Blick auf die Städtepartnerschaft, die Energie Deiner Impulse stets in gute
Bahnen zu leiten - mit Weit- und Überblick.
Über den Wolken - dieses bekannt Lied von Reinhard Mey
werden wir gleich gemeinsam singen. Darin heißt es: 'Über den Wolken muss
die Freiheit wohl grenzenlos sein. Alle Ängste, alle Sorgen sagt man, blieben
darunter verborgen, und dann würde was uns groß und wichtig erscheint plötzlich
nichtig und klein'. - Das Lied ist sehr bekannt. Viele können den Text
auswendig. Dennoch wird seine Botschaft im Alltag oft wenig beherzigt.
Stattdessen verstricken wir uns in Kleinigkeiten, streiten über Banalitäten,
machen uns Sorgen , die wir uns nicht machen müssten,
wenn wir uns wie ein Milan einen Überblick verschafften würden.
Helmo sei kein religiöser Mensch gewesen, sagtet Ihr.
Aber meine Erfahrung ist, dass viele religiöser sind, als sie denken. Die Welt,
das Leben und alles von oben zu sehen, ist eine religiöse Perspektive. Der von Helmo sehr geschätzte Dietrich Bonhoeffer sagt dazu: 'wo
das Wort von oben, das Wort Gottes, bei mir ist, finde ich in der Fremde meinen
Weg, im Unrecht mein Recht, in der Unge-wissheit meinen
Weg, in der Arbeit meine Kraft, im Leiden die Geduld'. Doch nicht immer
lassen sich Menschen etwas von denen sagen, die den Überblick haben. Das ist
besonders dann der Fall, wenn es 'von oben herab' gesagt wird. Weil die Kirche
das 'Wort von oben' verkündigt, erliegt sie nicht selten der Gefahr, von oben
herab zu sprechen und belehrend zu sein. Das mochte Helmo
gar nicht. Er hatte zwar den Überblick, aber er blieb bodenständig. Er liebte
den Milan, aber er hielt Hühner - was hohen Symbolwert hatte. Auch Gott mag das
'von oben herab', das Belehrende übrigens nicht. Darum wurde er Mensch, um als
Mensch mit Menschen zu sprechen. Indem Helmo Hühner
und Schafe hielt und Tomaten züchtete, behielt er Bodenständigkeit, und darum
wirkte das, was er im Überblick sah und im Weitblick äußerte, nie abgehoben,
belehrend oder gar arrogant.
Wenn ich auf den Punkt bringen sollte, wer Helmo war,
würde ich sagen: ein weitsichtiger Bodenständiger, ein zurück-haltender
Visionär, ein Weltbürger, der sein Dorf liebte, ein Milan, der im Hühnerstall
lebte, ein Kämpfer, der mit der gefährlichsten Waffe, dem Wort, behutsam
umzugehen wusste - ein bemerkens-werter Mensch ist
von uns gegangen.
In seinem Gedicht 'Stationen auf
dem Weg zur Freiheit' beschreibt Dietrich Bonhoeffer vier Etappen. Die drei
letzten lauten:
Tat
Nicht das Beliebige, sondern das
Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer
ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die
Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens nur
von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen
Geist jauchzend empfangen.
Leiden
Wunderbare Verwandlung. Die
starken, tätigen Hände sind dir gebunden. Ohnmächtig, einsam siehst du das Ende
deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte still und getrost in
stärkere Hand und gibst dich zufrieden. Nur einen Augenblick berührtest du
selig die Freiheit, dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.
Tod
Komm nun, höchstes Fest auf dem
Wege zur ewigen Freiheit, Tod, leg nieder beschwerliche Ketten und Mauern
unsres vergänglichen Leibes und unserer verblendeten Seele, dass wir endlich
erblicken, was hier uns zu sehen missgönnt ist. Freiheit, dich suchten wir lange
in Zucht und in Tat und in Leiden. Sterbend erkennen wir nun im Angesicht
Gottes dich selbst.
Dietrich Bonhoeffer:
Ich bin ein Gast auf Erden.
Damit bekenne ich, dass ich hier nicht bleiben kann, dass meine Zeit kurz
bemessen ist. Auch habe ich hier kein Anrecht auf Besitz und Haus. Alles Gute,
das mir widerfährt, muss ich dankbar empfangen... Einen festen Halt habe ich
weder an Menschen noch an Dingen. Als Gast bin ich den Gesetzen meiner Herberge
unterworfen. Die Erde, die mich ernährt, hat ein Recht auf meine Arbeit und
meine Kraft. Es kommt mir nicht zu, die Erde, auf der ich mein Leben habe, zu
verachten. Treue und Dank bin ich ihr schuldig. Ich darf meinem Los, ein Gast
und Fremdling sein zu müssen und damit dem Ruf Gottes in diese Fremdlingschaft nicht dadurch ausweichen, dass ich mein
irdisches Leben in Gedanken an den Himmel verträume. Es gibt ein sehr gottloses
Heimweh nach der anderen Welt... Ich soll mein Herz den Aufgaben, Schmerzen und
Freuden der Erde nicht teilnahmslos verschließen und ich soll auf die Einlösung
der göttlichen Verheißung geduldig warten, aber wirklich warten und sie mir
nicht im Voraus in Wünschen und Träumen rauben.
|
|